Vive la difference!
Nichts gegen Essen: Aber um aktuelle Entwicklungen am Spielemarkt zu verstehen, muss man auch nach Cannes zum Festival des Jeux fahren.
1. MÄRZ 2017
Wo in ein paar Wochen George Clooney wieder in die Menge winkt, stehe heute ich auf dem roten Teppich, der über die berühmte Treppe zum Eingang des Palais des Festivals von Cannes führt. Keine Angelina Jolle oder Catherine Deneuve an meiner Seite, dafür riesige Playmobil-Figuren.
Im selben Gebäude, in dem Filme und Stars um die Goldene Palme wetteifern, trifft sich jährlich um diese Zeit die frankophone Spielgemeinde.
|
Das Festival des Jeux muss man, um seriös übers Spielen berichten zu können, als Spielejournalist einmal selbst erlebt haben. Gerade jetzt. Nicht nur, weil es nach der „Spiel“ in Essen mit rund 100.000 Besuchern die weltweit zweitgrößte Veranstaltung ihrer Art ist. Ein Augenschein ist auch deshalb angebracht, weil der Spielemarkt gerade von Frankreich erobert wird. Längst kann keine Rede mehr davon sein, dass die sogenannten „German games“ primär von deutschen Verlagen stammen und schon gar nicht, dass sie deutsche Autoren haben. Mehr und mehr Spiele sind „made in France“. Schau einmal auf deine Schachteln, welche Namen dort drauf stehen.
Das Jahr 1995 leitete mit Die Siedler von Catan den Umbruch ein, die folgenden zwei Jahrzehnte gaben Deutsche den Ton an. Jetzt laufen die Franzosen ihren Nachbarn den Rang ab. Und das hängt in starkem Maße mit dem Festival des Jeux in Cannes zusammen. Dort hat es der Veranstalter verstanden, alle maßgeblichen Akteure der frankophonen Spielewelt, die bis nach Kanada reicht, zu servicieren und fördern. Mehr dazu im Interview, das ich mit Nadine Seul, der Hauptverantwortlichen des Festivals, in Cannes führte. Auf dem Nährboden von Cannes schossen die letzten Jahre zahlreiche neue französische Spieleverlage wie die sprichwörtlichen Schwammerl aus dem Boden, die auch bei uns reihenweise Preise abräumen. Dass die Verlagsnamen, ganz untypisch für die sprachbewusste La Grande Nation, meist englisch sind, unterstreicht lediglich den Anspruch, international die Führungsrolle zu übernehmen. Oder: Dass sich Asmodee zum Jahreswechsel das deutsche Flaggschiff Heidelberger einverleibte, und nebenbei noch zwei spanische Firmen, passt ebenso ins Bild (siehe Was Desigual, Hotels, Mietautos, Heidelberger und Asmodee miteinander zu tun haben).
Für eine Frankophobie besteht jedoch kein Anlass. Dazu ticken die Märkte dann doch zu unterschiedlich. Beachtenswert ist allerdings schon, wie es den französischen Verlagen beispielsweise gelingt, den Nerv der Generation Hipster zu treffen, aber auch ältere Semester bei der Stange zu halten. Cannes war an diesem Wochenende der Ort, um sich von der dynamischsten Spieleszene Europas ein besseres Bild zu machen.
Das Festival des Jeux ist in vielerlei Hinsicht anders als Spieleveranstaltungen hierzulande. Der Eintritt ist frei. Das ist deshalb möglich, weil sich der Festivalpalast und damit indirekt die Stadt Cannes als Hauptgesellschafter das Spektakel bewusst zur Belebung der Nebensaison leistet. Cannes gibt sich auch gegenüber den Spieleautoren großzügig und subventioniert ihre Hotelzimmer. Wobei: Auch für alle anderen ist die Logis in der mondänen Hafenstadt erstaunlich niedrig (in Essen, zum Beispiel, zahlt man zur „Spiel“-Zeit fürs Übernachten locker das Doppelte). Unterm Strich geht die Rechnung für Cannes trotzdem auf. Die Festival-Besucher lassen an drei Tagen eine schöne Stange Geld in der Stadt liegen. Siehe auch: Spielen zwischen Palmen und Mittelmeer
Der Termin Ende Februar wiederum hat den Effekt, dass man sich als aufs Ausprobieren der Spiele konzentrieren darf. Keine Rabattschlachten und kein stapelweises Verramschen wie zu Herbstterminen, nur weil das Lager (von nicht ganz so tollen Spielen) bis Weihnachten geleert sein muss. Zwar gibt es auch beim Festival des Jeux mehrere Spielehändler. Doch die verhalten sich zivilisiert. Okay, mit Schnäppchenjagd ist nix. Andererseits überkommt einen nie das unangenehme Gefühl, wie in Essen, etwas zu versäumen oder zu viel bezahlt zu haben, weil das Spiel X am Vormittag noch zwei Euro mehr gekostet hatte.
Zurück aus Cannes, bleibt einmal mehr die Erkenntnis: Andere Länder, andere Sitten. Vive la difference!
Was denkst du darüber? Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! – Mehr über die Regeln, was veröffentlicht wird, was nicht, findest du hier