Es sollte schon mal ans Eingemachte gehen
In der Kategorie Einschätzungsspiele für (junge) Erwachsene buhlen immer wieder originelle Partyspiele um die Gunst. Am weitesten geht dabei dieses Amigo-Spiel.
Aus Spielwiese 73/2004 (überarbeitet)
Bei Privacy gibt es zwar eine Zählleiste, aber die ist Nebensache. Mit der Scheibe werden die vermuteten Ja-Antworten getippt. |
Vorbemerkung: Die Spielwiese hatte 2004 in Heft 73 die SpielePrivacy, Stadtgespräch von Ravensburger und Knowing Me, Knowing You von Parker einem Vergleich unterzogen. Die beiden anderen sind nicht mehr im Handel.
Aus zahlreichen Anfragen weiß auch die Spielwiese nur zu gut, dass Freundeskreise immer wieder auf der Suche nach einem Spiel sind, das Kommunikation und das Einschätzen der anderen miteinander verbindet. Dabei darf es dann auch durchaus ein biss-chen "schlüpfrig" zugehen. Was dann tatsächlich als schlüpfrig, pikant oder anzüglich betrachtet wird, ist Ansichtssache und hängt auch von der Philosophie des jeweiligen Verlages ab.
Am weitesten ins Persönliche der drei Spiele geht Privacy. Bei diesem Spiel sind Feststellungen und Ansichten auf sich zu beziehen und mit Ja oder Nein zu beantworten. Treffen sie zu oder nicht? Beispiel: "Verhütung ist Frauensache." Das ließe sich ja durchaus noch offen in der Runde diskutieren, genauso wie das Eingeständnis "Ich hatte schon mal alkoholbedingt einen Filmriss" im Freundeskreis wenig Neuigkeitswert haben könnte. Vielleicht war es ja ein Einzelfall, eine Jugendsünde. Hingegen wäre die Zustimmung zu "Ich habe ein Suchtproblem" wohl für viele schwieriger über die Lippen zu bringen. Ganz abgesehen davon, dass bei einer Verneinung ein Mitspieler ganz anderer Ansicht sein könnte und daraus böses Blut am Spieltisch aukommt. Oder käme "Ich könnte einen Seitensprung meines Partners verzeihen" womöglich gar einer Aufforderung nahe? Welchen Eindruck würden offen bekundete Zustimmungen wie zu "Ich bin schon mal in einer Beziehung fremdgegangen" oder "Ich war schon mal bei einer Prostituierten (Callboy)" oder auch eine offene Verneinung wie von "Meine Mitspieler finde ich alle sehr nett" hinterlassen? Könnte heikel oder peinlich werden, wenn man ehrlich ist. Deshalb werden die Antworten bei Privacy prinzipiell anonym gegeben und man wird durch die Spielregel mehrmals dazu angehalten, grundsätzlich ehrlich zu sein. Für ein Ja werden reihum orange Holzklötzchen in einen schwarzen Sack geworfen, für Nein schwarze Holzklötzchen.
Die Frage wird zu Beginn laut vorgelesen, unmittelbar danach erfolgt das Einschätzen der Mitspieler: Auf einer Scheibe stellt man mit einem Drehpfeil die Anzahl der Anwesenden, von denen man glaubt, dass sie mit Ja antworten werden (die Skala beginnt bei Null). Hat jeder sein Klötzchen in den Sack geworfen, werden sie auf den Tisch geleert. Wer die Anzahl der orangen Ja-Steine genau vorhergesagt hat, rückt mit seiner Spielfigur drei Felder vor, wer um ein Ja nach oben oder unten danebenlag, rückt ein Feld vor.
Zwei heikle Fälle
Der Haken an der Sache sind die Fälle, bei denen es nur eine Ja-Antwort oder genau eine Ja-Antwort weniger als Spieler teilnehmen. Dadurch könnte es zu unfreiwilligen Outings kommen, wenn alle Spieler ihre Drehscheiben aufdecken. In diesen Fällen gibt es jeweils eine Sonderregel.
Darin liegt aber auch die Crux von Privacy: Bei kleinen Runden führt sich das System ad absurdum. Die Gefahr bzw. die Versuchung, dass auf besonders delikate Fragen doch nicht ehrlich geantwortet wird, ist groß. Ebenso lässt sich bei harmlosen Fragen in einer kleinen Runde, die sich sehr gut kennt, das Spielprinzip insofern boykottieren, indem man bewusst eine falsche Antwort gibt und seinen Scheibe entsprechend einstellt.
Im direkten vergleich der drei Spiele treten ihre Stärken und Schwächen gut hervor. Privacy geht am weitesten ans Eingemachte, Stadtgespräch ist das belangloseste, aber dafür mit Jedermann zu spielen – man muss sich überhaupt nicht kennen. Bezieht Privacy seinen Reiz daraus, dass durch die Anonymität überraschende "Ergebnisse" in einer Gruppe entstehen können, die Eingeständnisse aber niemand konkret zuzuorden sind, ist die Sache bei Knowing Me, Knowing You genau umgekehrt. Hier wird Farbe bekannt – dafür sind die Fragen aber lange nicht so delikat.
Dezidiert kein Familienspiel
Eine direkte Empfehlung daraus abzuleiten, ist nicht möglich. Einen Wiederholungsreiz zu benennen wäre bei allen drei Spielen unseriös: Erfolg oder Pleite, Spaß oder Frust bei dem einen oder dem anderen Einschätzungsspieles hängt zu sehr von der Zusammensetzung der Gruppe ab. Auch das Alter der Beteiligten spielt eine wichtige Rolle: Bei Privacy kann davon ausgegangen werden, dass trotz Verlagsempfehlung kaum ein 16-Jähriger einen Bruchteil der gefragten Erlebnisse schon gemacht haben wird – es ist ein absolutes Erwachsenenspiel.
Nr. 855: Privacy |
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2021: Amigio 2004: Amigio |
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Spielwiese-Code: | | E | 20 | | |