Sieger von Merlins Gnaden
Nach der Überwindung jeder Menge Kinderkrankheiten legt Ravensburger den Spielern eine Mischung aus Brett- und Computerspiel auf den Tisch.
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Aufwändiges Spiel aufwändig für Marketingzwecke in Szene gesetzt: King Arthur, der zeitweilige Hoffungsträger von Reiner Knizia bei Ravensburger. Foto: Ravensburger |
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Fürs elektronische System muss beim Anfassen der Ritter gleichzeitig einer der blauen Kreise (vorne) berührt werden. Foto: Spielwiese |
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Es war die Geheimsache schlechthin bei Ravensburger! Schließlich ging es um nichts Spektakuläreres als das erste Brettspiel der Welt, das "mit elektronischer Intelligenz" ausgestattet werden sollte. Was immer man sich darunter auch vorstellen mochte.
In England zerbrach sich eine Elektronik-Schmiede den Kopf darüber, Spieleautor Reiner Knizia, damals noch Wahl-Brite, tüftelte an Mechanismen und Zahlenreihen. Von Ravensburg aus wurden mögliche Produzenten sondiert. Nach knapp zwei Jahren Vorarbeit wurde Ende Jänner 2003 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg der Prototyp vorgestellt. Die Befürchtung, dass noch viele Hürden auf dem Weg bis zur Marktreife und zur Verteilung an die Händler zu überwinden sein werden, sollte sich bewahrheiten. So ist King Arthur mit Verspätung in den Regalen gelandet. Immer wieder offenbarte das System seine Tücken, als Auserwählte verschiedene Stufen der Entwicklung ausprobieren durften. So bereitete beispielsweise die leitende, auf den Spielplan gedruckte Farbe Probleme und die Luftfeuchtigkeit am asiatischen Produktionsstandort unterschied sich grundsätzlich von der des Zielmarktes. Die mit der Spezialfarbe versehenen Spielbretter begannen sich zu wellen. Der Fernsehspot lief schon längst, nur zu kaufen gab es das geheimnisvolle Ding noch nicht. Es steckte noch im Schiffsbauch irgendwo zwischen China nach Europa. In kleinen Vorabserien waren zuerst Österreich (um sich die Auszeichnung Spiel der Spiele zu sichern) und die Schweiz beliefert worden. Auf der Suisse Toy in Bern stieß das noch immer nicht endgültige Produkt im September trotz Messerabatt auf verhaltenes Käuferinteresse.
Effekt trat nicht ein
Zu neuartig, zu anders oder eventuell doch noch nicht ganz ausgereift? Jedenfalls ist King Arthur für einen vielversprechenden Messeeinsatz praktisch untauglich: Das Spiel spricht zu den Spielern – was in der typischen Lärmkulisse einer Messehalle untergehen muss. Da erzielen auch notdürftig eingerichtete King Arthur-Spielkojen und nicht serienmäßig angehängte Lautsprecherboxen nur bedingt den erwarteten Effekt.
Zu Hause, ja da wird alles anders sein, wenn die bis zu vier Spieler voller Erwartung vor dem Spielplan sitzen. Was soll King Arthur nicht alles können! Zauberer Merlin – das ist die Stimme aus dem Off – gebe eine Einführung ins Spiel. Im Spiel würden verschiedene Charaktere auftauchen und "mitspielen", die elektronische Einheit werde sich alles merken, was die Spieler tun und darauf reagieren: Ritterliche "gute Spieler" wurden belohnt werden, rücksichtlose "böse Spieler" bestraft werden. King Arthur stelle "die Spieler vor immer wieder neue Herausforderungen, jedes Spiel verläuft anders und auch in späteren Spielen trifft man noch auf neue Gestalten".
Kein Ersatz für Spielanleitung
So liest man im Regelheft über das Besondere des Spiels. Das meiste davon trifft zu. Das mit der Einführung ist allerdings eher ein schlechter Witz. Merlin erzählt in wenigen Sätzen nichts anderes, als man es von gedruckten Einleitungstexten her gewohnt ist. King Arthur macht das Spielregel-Lesen alles andere als überflüssig. Sie hat übrigens zwölf Seiten. Ihr hat man die ersten Schritte entnehmen, damit King Arthur in Fahrt kommt. Gerechterweise muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass sich bei jüngeren Spielern Verblüffung einstellt, wenn sie sich mit ihrer Figur bei Merlin anmelden und namentlich als weißer, schwarzer, blauer oder roter Ritter begrüßt werden. Das "Geheimnis" liegt im elektrischen Kontakt, der zwischen der Spielfigur und einem speziellen Berührungsfeld geschlossen wird: Bei jedem Spielzug muss der Spieler seinen Ritter am Helm berühren. Den Rest erledigt die eingangs erwähnte Leiterfarbe zwischen Spielfeldern und Computerchip im Innern des "Steins", aus dem Merlin spricht.
Auf diese Weise zeichnet der Minicomputer auf, was wer wann gemacht hat und kann später darauf reagieren, wenn es der Spielautor anhand von unzähligen Simulationen für richtig, angebracht oder unbedingt notwendig erachtet hat.
Bevor wir weitere Blicke hinter die Kulissen eröffnen, ist eine Erklärung über das Spielziel notwendig. England sucht einen neuen König und nur der Tüchtigste und Ritterlichste unter allen Bewerbern soll es werden. Die Spieler bestehen Abenteuer, handeln und tauschen und sammeln auf diese Weise Ruhmespunkte. Wer zuerst 30 in der kurzen oder 40 in der langen Version sammelt, darf von den Stein treten und sich zum König ausrufen lassen.
Zahlreiche handelnden Personen
Das Geschehen spielt sich auf 22 Feldern ab. Eine mittelalterliche Landschaft mit allem, was man sich vorstellt: Von Burgen über einen Turnierplatz bis zum Steinkreis und einem Galgen. 45 Charaktere, kampfeslustige Rabauken, wohl gesonnene Burgfräuleins, bestechliche Brückenwächter und Ungeheuer melden sich auf den Feldern zu Wort. Die einen haben einen fixen Platz, andere wieder schwirren unsichtbar durch die Gegend, um unerwartet aufzutauchen. Wenn ein Spieler auf ein Feld zieht, wird von ihm erwartet, dass er entweder "nichts tut" oder das Feld "erkundet" und gegebenfalls reagiert. Für alle diese Fälle befinden sich am unteren Spielfeldrand sieben Kontaktflächen: Die eine Hand an den Ritterhelm, einen oder mehrere Finger der anderen Hand auf die Fläche legen und hören, was passiert. Als Reaktionsfelder stehen Freundschaft, Kampf, Rückzug, Ingorieren und Geben zur Auswahl. Je nach Charakter, mit dem man es aktuell zu tun hat, gibt es eine beste Lösung. Man muss es ausprobieren. Fordert einen der Ritter zum Duell auf, ist das Anbieten der Freundschaft nicht wirklich zielführend. Die Elektronik "merkt" sich das ebenso wie das Auswählen von "Rückzug" – womit man als feiger Hund abgestempelt ist. Das Ignorieren eines Bettlers oder eines Bauern ist ebensowenig ratsam – rasch gerät man als hartherzig in Verruf und im nächsten Dorf wird einem die Hilfe verweigert.
Hingegen darf man mit einem aufdringlichen Händler durchaus feilschen, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Die Spieler sammeln mit der Zeit so genannte Güter, das sind Karten mit Schilden, Schwertern oder Essensvorräten. Im weiteren Verlauf des Spiels können noch Zaubertränke und verschiedene andere Sonderkarten dazu kommen, die einem etwa der Druide oder die Jungfrau überlassen. Andere Gestalten wollen Karten von den Mitspielern, etwa der Abt oder der Fährmann.
Technisch betrachtet betrat Ravensburger mit diesem Spiel Neuland. Der große Erfolg im Wettbewerb mit Computer-, Video- und Konsolenspielen ist es trotzdem nicht geworden. Basierend auf den Erfahrungen bei der Entwicklung von King Arthur und um die Gesamtkosten dafür zu mindern erschien 2005 Die Insel. Sie war wesentlich ausgereifter und hatte auch spielerisch mehr Reiz. |
Merlin ist gewissermaßen der Ruhepol und gute Freund im Spiel. Er gibt Ratschläge, wohin man als nächstes soll, um entweder seine Ruhmespunkte oder seine Güter zu vermehren. Mit welchem Charakter man es gerade zu tun hat, lässt sich an der LCD-Anzeige des "Steins" ablesen. Jeder Charakter hat eine Nummer und alle Charaktere sind auf einer Bilderleiste rund um den Spielplan dargestellt. Der "Stein" hat auch zwei nützliche Knöpfe: Der Druck auf den linken lässt die letzte Ansage noch einmal erklingen, mit dem rechten kann ein Spieler jederzeit seinen aktuellen Punktestand abrufen. Der rechte Knopf hat sich zumindest bei den ersten Exemplaren als Problemkind erwiesen und oft seinen Dienst verweigert. Da hilft dann ein bisschen Spucke auf dem Zeigefinger, um die eigene Leitfähigkeit zu verbessern.
Irrtum - fast - ausgeschlossen
Ein Vorteil des elektronischen Systems ist, dass es durch einen Missklang die Spieler auf bestimmte Fehler aufmerksam macht: Es geht nichts weiter, bevor der Spieler seine Reaktion durch Drücken eines der Berührungsfelder getätigt hat. Andererseits überrascht, dass es dann doch nicht so schlau ist zu erkennen, wenn ein Spieler übersprungen wird oder wenn sich jemand nicht an die Regel hält, dass nur ein Feld weit gezogen werden darf. Und eines Eindrucks kann man sich auch nach mehreren Spielen nicht erwehren: Eigentlich weiß man nicht so recht, ob man durch sein Verhalten wirklich so viel Einfluss hat oder ob schlussendlich nicht doch der Zufall und das Glück Regie führen.
Störend ist die zum Teil schlechte Sprachqualität einiger Ansagen. An den elektronischen Schnickschnack gewöhnt man sich insgesamt sehr schnell. So wirkt King Arthur im Zeitalter aufwändiger PC-Spiele etwas antiquiert, auch wenn technisch gesehen Neuland betreten wurde. Als Laie kann man sich deshalb schwer vorstellen, dass Ravensburger immens viel Geld in das Projekt gesteckt hat. Wenn schon von Faszination gesprochen werden kann, dann steht sie eigentlich weniger im Zusammenhang mit der Technik, sondern mehr mit der Welt, in die man mitgenommen wird und die ständig neue Überraschungen liefert. Es ist eine Bubenwelt und King Arthur ist ein Bubenspiel.
Nr. 837: King Arthur |
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2003: Ravensburger |
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Spielwiese-Code: |●●●●●● | E | 7 | !!!!!!| |